Durchschnittlich warm und sehr nass
Boulevard-Journalismus im Sommerloch: Der "Südpol bricht auseinander"
Bilanz: Ungewöhnlich nass mit 204 % Regen - Temperatur geringfügig über dem Mittel / Abweichung: +0,3 Grad
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Mit einer Durchschnittstemperatur von 18,3 Grad war der Juli im Marburger Land nur geringfügig wärmer als im Mittel der Jahre. Wärmster Tag war der 19. mit knapp 32 Grad, am kühlsten war es am Morgen des 13. mit nur 7, am Erdboden sogar nur 5 Grad. Immerhin brachte es der zentrale Hochsommermonat auf 14 Sommertage, also Tage mit Maxima von mindestens 25 Grad. Darunter waren sogar drei heiße Tage mit mindestens 30 Grad.
Allerdings schlug die zuvor monatelange Trockenheit ins glatte Gegenteil um: Mit rund 120 Liter Regen pro Quadratmeter, die auch noch flächendeckend niedergingen, kam an insgesamt 18 Tagen mit Regen mehr als das doppelte des Regensolls zusammen. Was für die rasch wieder ergrünende Natur ein Segen war, bereitete den Landwirten allerdings Kummer: Wegen der ständigen Wetterwechsel hatten sie Mühe, geeignete Lücken für den Mähdrusch zu finden. Denn für die bestmögliche Qualität der Ernte wären mindestens drei aufeinanderfolgende, trockene Tage nötig gewesen. Und damit tat sich der Juli schwer, zumal auch die Zahl der Sonnenstunden nur etwa 85 Prozent des Solls erreichte.
Die Großwetterlage während des sogenannten Siebenschläferzeitraums Anfang Juli hatte sich also nicht auf eine der beiden Varianten eingependelt, die entweder sonnige und heiße oder trübe und feuchtkühle Hochsommerwitterung zur Folge haben. Vielmehr offenbarte der zentrale Hochsommermonat einen klassischen Schaukelsommer mit vielen Wettergesichtern. Kurze Hitzeperioden wurden stets von ebenso kurzen, kühlen Perioden abgelöst, doch die meiste Zeit regierte wechselhaftes, zwar nicht unfreundliches und sogar leicht überdurchschnittlich warmes, allerdings - und das ist neu - auch ausgesprochen nasses Sommerwetter.
So fiel das himmlische Nass nicht nur in Form heftiger Gewittergüsse, sondern auch mal als kräftiger Landregen. Und der kam zumindest für einen Teil der Feldfrüchte gerade noch zur rechten Zeit. Für die begonnene Getreideernte war das wechselhafte Wetter dagegen ungünstig: Das Ausbleiben längerer trockenwarmer Wetterphasen machte eine Ernteplanung mit optimalen Ergebnissen schwer.
Gar nicht gut bekommen ist dieser Schaukelsommer übrigens auch ganz offensichtlich den Redaktionsstuben eines Teils der Regenbogenpresse, ganz speziell demjenigen Blatt mit den vier Buchstaben: So titelte jenes Prachtexemplar des schillernden Boulevard-Journalismus am 13. Juli: "Der Südpol zerbricht!"
Die Geschichte dahinter: Am Larsen-C-Eisschelf vor der Küste der antarktischen Halbinsel ist ein gewaltiger Eisberg abgebrochen. Schon im letzten Jahr war ein tiefer Riss im Eis festgestellt worden, der in den folgenden Monaten immer weiter gewachsen ist und zuletzt weit über 100 Kilometer Länge erreicht hatte (wir haben bereits in der Juni-Ausgabe davon berichtet). Jetzt ist der betroffene Teil des Eisschelfs erwartungsgemäß abgebrochen und hat sich so in einen gut 6.000 Quadratkilometer großen Eisberg verwandelt. Dieser wird in den kommenden Jahren allmählich nordwärts driften und dabei Stück für Stück abschmelzen. Eine unmittelbare Gefahr besteht dadurch nicht. Mittelfristig könnte die Druckentlastung allerdings zu einem schnelleren Nachfluss von Inlandsgletschern führen, wodurch sich die Eisschmelze auf der antarktischen Halbinsel auf lange Sicht beschleunigen könnte.
Das alles ist jedoch mehr als 2.000 Kilometer weit vom Südpol entfernt passiert, der seinerseits nicht nur nicht an der Küste, sondern inmitten des antarktischen Kontinents in fast 3.000 Meter Höhe liegt. Die Schlagzeile „Der Südpol zerbricht!“ entfaltet daher ungefähr so viel Wahrheitsgehalt, als wenn man das Sichten einer besonders hellen Sternschnuppe mit dem Asteroideneinschlag in Verbindung bringen würde, der vor 65 Millionen Jahren das Aussterben der Dinosaurier eingeleitet hat. Für das Aussterben journalistischer Dummheit besteht diese Option ganz offensichtlich leider nicht.
Marburg, am 31.07.2017
Herzlichst, Ihr Jürgen Vollmer
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